andrea eitel: ANSICHTEN

29.01. – 08.03.2024

Alles ist eine Ansichtssache – was wir wahrnehmen, was unseren Blick festhält, unsere Aufmerksamkeit erregt! Was wollen wir entdecken und sehen in dem, was uns täglich umgibt? Unaufhörlich stürmen Bilder und Eindrücke auf uns ein, ständig verändern sich Landschaft, Städte, Menschen und die Gesellschaft um uns herum.

Was ist es der Künstlerin wert, festzuhalten, zu verewigen? Was spiegelt ihren Blick, ihre Wahrnehmung wider? Geht es um Kunst um der Kunst willen – l’art pour l’art? Oder verbirgt sich dahinter noch etwas anderes, ein inneres, ein soziales, politisches, ökologisches, ganz persönliches privates Anliegen, ein unterbewusster Prozess?

Oft bleiben diese Fragen unbeantwortet und wir beginnen als Betrachter zu interpretieren, auf der Grundlage unserer eigenen Ansichten und Empfindungen.

Andrea Eitel liefert uns Hinweise zur Entstehung ihrer Bilder. Sie ist eine Spaziergängerin mit einem fotografischen Auge. Mit der Kamera hält sie Situationen und Momente fest.

Diese fotografischen Vorlagen dienen ihr als gestalterisches Sprungbrett. In der Umsetzung in die Malerei – komponiert aus Farbe und Form – verändert die Künstlerin Fluchtpunkte und Perspektiven, lässt Details weg, verändert Farbigkeit und Oberflächen. Bedeutungsraum und Farbraum gehen in ihrer Malerei eine ganz besondere Verbindung ein, die so charakteristisch ist für das Werk der Stuttgarter Künstlerin, die seit zwei Jahrzehnten den Stuttgart Kunstbetrieb maßgeblich mitprägt.

Es sind Blicke nach Innen und nach Außen, die sich uns hier in den Bildern präsentieren, die Karl Amann gemeinsam mit Andrea Eitel ausgewählt hat. Es ist fast schon eine kleine Retrospektive mit Werken aus der Zeit von 2002 bis 2019. Begonnen als Autodidaktin, hat Andrea Eitel in den letzten Jahrzehnten ein viel beachtetes, homogenes Werk geschaffen.

 

 

Malerei im klassischen Sinne – Öl auf Leinwand.

In ihren Darstellungen, überwiegend Stadtlandschaften und Architektur, treffen wir auch Menschen an. Sie sind umgeben von dieser artifiziellen Welt, genannt Stadt, in der wir uns seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich bewegen, abgegrenzt vom Außen, abgegrenzt von uns selbst – durch Stein, Glas, Metall, Holz – Wanderer in einer Stadtlandschaft.

Mir ist aufgefallen, dass wir in den hier gezeigten Bildern nie unmittelbar mit eigentlicher Natur in Berührung kommen, nur mit Landschaft – was im Begriff selbst schon das vom Menschen Gemachte, Erschaffene impliziert – und am sichtbarsten eben in der Stadtlandschaft wird.

Die Künstlerin schafft Distanz, wenn sie unseren Blick auf den Bodensee durch die Glasscheibe der Fähre lenkt. Oder unseren Blick auf den Neckar von einem Industrieobjekt leiten lässt.

So, wie sie selbst sich ihrem Motiv ja auch nie direkt und unmittelbar nähert, sondern es zunächst durch die Linse des Objektivs erfasst. Sie schafft also auch hier eine gewisse Distanz zwischen sich und dem Augenblick, zwischen erster Wahrnehmung und künstlerischer Interpretation.

Sie spiegelt uns diese Wahrnehmung wider. Vermittelt uns als Betrachtern ihr Empfinden von Stimmigkeit und Schönheit. Die Spannung ihrer Bilder entsteht im Moment der malerischen Umsetzung dieser ersten fotografischen Wahrnehmung.

Andrea Eitel erzielt die Realität in ihren Darstellungen aber nicht, indem sie die Übersetzung dieser Motive in Malerei bis ins Detail durcharbeitet, sondern im Gegenteil, indem sie reduziert, vereinfacht und uminterpretiert, abstrahiert.

Ihre Malerei lebt von Farbkontrasten, von Licht- und Schattenspielen, weit entfernt von einem altmeisterlichen Ansatz, eher einer kompositorischen Ausgewogenheit folgend, einer dem Bild immanenten Gesetzmäßigkeit.

Dabei betreibt die Künstlerin ein Verwirrspiel der Wahrnehmung. Gesehenes wird hinterfangen von Spiegelungen, wird überlagert von Lichtreflexionen. Auf einer Ebene zusammengezogenen Raumschichten verbinden sich zu einer eigenständigen Wirklichkeit, es kreuzen sich Räume und Treppenmotive. Orte werden geschichtet, ineinandergeschoben. Denn als wiedererkennbarer spielt der Ort in den Bildern Andrea Eitels eigentlich keine Rolle. Trotzdem erkennen wir Merkmale von Städten wie Paris, Berlin und Stuttgart. Städte, die die Künstlerin in ihrem unersättlichen Appetit nach Inspiration immer wieder aufsucht, wo sie lebt und arbeitet, wo ihre Söhne künstlerisch oder kunsthistorisch aktiv sind.

Städte sind vor allem Orte der stetigen Veränderungen – Bauarbeiter sind unaufhörlich am Werk. Viele der Blicke, die sich uns in ihren Werken eröffnen, gibt es so heute gar nicht mehr – so schwingt auch ein bisschen Nostalgie mit in den Bildern, die Titel tragen wie:

Himmel über Stuttgart

Monumental

Berlin

Im Park der Villa Berg

Der Blick der Künstlerin ist trotzdem zeit- und ortlos, es könnte jede Stadt überall auf der Welt sein. Bei aller Veränderung bleibt alles gleich.

Über das wichtige Element der Architektur bringt sie Belebtes und Unbelebtes im Bild zusammen. Sie stellt belebte oder verlassene, private oder öffentliche städtische Raumsituationen einander gegenüber. Mal blicken wir nach innen, mal nach außen.

Mal finden wir uns vis-à-vis einer verlassen Tiefgarage, die sich wie dafür geschaffen in die Räume der Galerie Sammlung Amann einfügt, als wäre sie eine Fortsetzung des Raumes. Dann finden wir uns in einem Museum wieder, einer Aufsichtsperson folgend.

Menschensilhouetten erscheinen vor und hinter einem Gitter, ein verlassener Putzwagen steht in einem Flur… – wir treffen auf Lebensspuren in städtischen Raumsituationen. Dabei ist es uns als Betrachtern überlassen, eine Geschichte zu der jeweiligen Situation zu erfinden. Andrea Eitel erschafft somit Gedankenräume für unsere eigene Wahrnehmung. Was wir wahrnehmen, ist entscheidend.

Das Bild Signal, eine verlassene Schaltzentrale, erinnert mich an die fotografischen Werke Thomas Demands. Der Bildhauer und Fotograf baut Modelle historischer Orte und Tatorte, fotografiert diese, zerstört wiederum das Modell und präsentiert die Fotografie – so dass er dem Betrachter Einlass gewährt an einen Ort, dessen Ereignis er eliminiert hat. Es bleibt nur der Ort und die Wahrnehmung des Betrachters und sein mögliches Wissen um die Geschehnisse.

Auch er wirft die Frage nach der Spur des Menschen auf. Genau wie Andrea Eitel. Wer war an diesem Ort, hat der- oder diejenige den Stuhl gerade erst verlassen? Ist etwas passiert?

Andrea Eitels formales Spiel mit dem Fotorealismus, der eben kein Fotorealismus, sondern gegenständliche Malerei ist, driftet bei aller Nüchternheit ab ins Geheimnisvolle bis fast schon Surreale.

Gegenstände, Räume, Menschen, Situationen, es ist nie ganz klar, was man sieht. Was machen die dargestellten Personen, wo schauen, wo gehen sie hin?

Was überhaupt sieht man denn auf Bildern wie Rückspiegel, 18 Uhr oder, zum Beispiel Brennpunkt. Dort nehmen wir ein blaues Gebilde wahr, das erst wie ein Ufo wirkt, bei längerem Betrachten aber zu einer Überwachungskamera mutiert. Damit steht es für mich sinnbildlich für die anderen Bilder, ein alles beobachtendes Auge, den Blick gerichtet auf Orte, an denen Menschen auftauchen, aber nicht verweilen.

Diese Orte aufzuspüren und malerisch aufzuladen, darin liegt die Gabe der Künstlerin, die auch eine Freude daran hat, unsere Wahrnehmung in die Irre zu führen.

In den Arbeiten Großes Fenster oder Putz muss man als Betrachter schon zweimal hinsehen, um das Verwirrspiel zu durchschauen. Bildelemente, wie konkrete Kunst anmutend, entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Klebebandstreifen auf einer Glasscheibe. Die zunächst schwer zu erfassende Oberflächenstruktur erweist sich als Rohrleitungssystem, verankert in von der Wand bröckelndem Putz.

– Verletzlichkeit der Stabilität –

Diese wird auch sichtbar in dem Bild Rast – der dort auf seinem Rollator sitzende Mann birgt kein Geheimnis. Er steht vielmehr, wie ein Stellvertreter, für die Frage nach unserem Verbleib in alldem, ein Sinnbild für die Flüchtigkeit von allem. Genauso wie das Bild des verlassenen Stuhls, das in Karl und mir die gleiche Assoziation hervorrief – als Blick in den verlassenen Flur eines Pflegeheims?

Wir fragen beide die Künstlerin – die aber schüttelt den Kopf:

„Ich möchte mit meinen Bildern keine Botschaft übermitteln, ich möchte nur die Schönheit und Sinnlichkeit der Motive zeigen, die mir bei meinen Streifzügen begegnet sind.“

Und das tut sie in ihren Bildern immer wieder – reduziert und klar, schnörkellos und geradlinig. So wie die Künstlerin als Person selbst ist, die offen und gradlinig auf ihr Gegenüber zugeht und kein Geheimnis aus ihrer Kunst macht.

Text: Dr. Katrin Burtschell

Fotografien: ©Mario El Khouri